Die Karte bietet eine Auswahl bedeutender Erinnerungsorte der heutigen Pflege und Überlieferung mitteldeutscher Barockmusik in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Klicken Sie auf die einzelnen Orte und erfahren Sie mehr!
Für die Bevölkerung des barocken Mitteldeutschland boten die sonntäglichen Gottesdienste oft die einzige Gelegenheit, große vokal-instrumentale Musikaufführungen zu erleben. Während privates Musizieren überall eine bedeutende Rolle spielte, waren öffentliche Musikaufführungen außerhalb der Kirche vor allem den größeren Städten vorbehalten. Die Musikliebhaber fanden sich hier bereits seit dem 17. Jahrhundert zu Laienorchestern zusammen und bildeten vielerorts den Nährboden für die spätere Professionalisierung ihrer Ensembles hin zu Stadt- oder Kirchenorchestern. So waren hauptamtliche Kirchenmusiker auch an der Entstehung des bürgerlichen Konzertbetriebes beteiligt. Andererseits unterstützten die verschiedenen Laienmusiker regelmäßig als Adjuvanten die Kirchenmusikaufführungen.
Von der öffentlichen Musikpraxis waren Frauen weitgehend ausgeschlossen. Bis ins späte 18. Jahrhundert waren sie in Konzerten nur vereinzelt zu erleben, lediglich auf den zeitgenössischen Opernbühnen genossen Sängerinnen das gleiche Ansehen wie ihre männlichen Kollegen. Die Mitwirkung in den Kirchenchören blieb ihnen hingegen vielerorts bis ins 19. Jahrhundert hinein verwehrt. So bildete die Hausmusik – mit Gesang, Klavier- und Lautenspiel – den eigentlichen Rahmen der weiblichen Musikpraxis. Die Komponisten stellten sich zunehmend auf diese Zielgruppe ein und veröffentlichten Werke, die – wie es in einer Leipziger Zeitungsanzeige aus dem Jahr 1741 heißt – „auch von einem Frauenzimmer ohne große Mühe gespielet werden können“.
Ein Blick auf Magdeburg – hier in einer Ansicht aus dem Jahr 1640 – macht deutlich, wie viele Kirchen sonntags innerhalb der Mauern einer mitteldeutschen Barockmetropole musikalisch versorgt werden mussten und welchen Personalaufwand das bedeutet haben mag.
Stets wurde die Musikpraxis der Laien durch strenge Auflagen von den Aufwartungsrechten und -pflichten der städtisch angestellten Ratsmusiker abgegrenzt. Dies betraf insbesondere das Aufspielen auf Hochzeiten, das privaten Musikern stets untersagt blieb. Das geringe Gehalt der Stadtpfeiferzunft rechnete fest mit den Einnahmen, die ihnen das Aufwartungsprivileg bescherte. Doch trotz der bescheidenen Einkünfte handelte es sich stets um einen angesehenen Beruf. Viele Mitglieder der weitverzweigten Bach-Familie – darunter auch Johann Sebastians Vater – fanden in den Kleinstädten Thüringens Anstellungen als Ratsmusiker.
Hören Sie die Einleitungssonata der Kantate Mein Fleisch ist die rechte Speise des Erfurter Organisten Johann Pachelbel. Es musiziert die Chursächsische Capelle Leipzig.
Hören Sie die Arie Vergnüge dich in deinen Freuden aus der Soprankantate Das ist meine Freude des Pachelbel-Schülers Johann Heinrich Buttstett. Im Barock wurden die Sopranpartien der Kirchenkantaten meist von Knaben gesungen. Hier hören Sie Maria Jonas und die Chursächsische Capelle Leipzig.
Die Musikgeschichte der Stadt Halle reicht bis ins Mittelalter zurück. Im Kloster Neuwerk, 1116 gegründet, liegen die Wurzeln des Stadtsingechores, einem der ältesten Knabenchöre Deutschlands. Bis 1680 residierten die Magdeburger Erzbischöfe in Halle. Vor der Einführung der Reformation erlebte die Stadt unter dem kunstsinnigen Kardinal Albrecht von Brandenburg eine kulturelle Blütezeit. Dompropst Michael Vehe gab 1537 eines der ersten katholischen Gesangbücher heraus.
In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts war Samuel Scheidt hier der herausragendste Musiker. Er war zunächst Hoforganist und ab 1619 – in Nachfolge des englischen Geigers und Komponisten William Brade – Hofkapellmeister des Administrators Markgraf Christian Wilhelm von Brandenburg. Unter dem Eindruck des Dreißigjährigen Krieges zerfiel die Hofkapelle zusehends. Erst unter dem letzten Administrator, Herzog August von Sachsen, entwickelte sich nach 1638 wieder höfisches Leben. Unter Scheidts Nachfolgern Philipp Stolle und David Pohle wurde die hallische Residenz ab 1654 eine der ersten Spielstätten der frühen deutschsprachigen Oper. Mit dem Tod Herzog Augusts verlor die Stadt 1680 ihre Rolle als Residenz. Der Hof übersiedelte nach Weißenfels – und mit ihm viele Musiker. Eine große Pestepidemie hatte die Bevölkerungszahl 1682 zudem fast halbiert und so war die Musikpflege beinahe völlig zum Erliegen gekommen als Friedrich Wilhelm Zachow 1684 das Organistenamt an der Marktkirche antrat.
Der 1685 in Halle geborene Georg Friedrich Händel fand bereits im Alter von 17 Jahren eine Anstellung als Organist in der reformierten Domgemeinde. Zeitgleich studierte er an der erst 1694 gegründeten Universität, die ein Zentrum der Aufklärung wurde und an der Anhänger des Pietismus um den Theologen August Hermann Francke lehrten. Francke entwarf für den Musikunterricht neue Regeln, die nach 1717 für das gesamte brandenburgisch-preußische Schulwesen maßgebend wurden. Sein engster Mitarbeiter, Johann Anastasius Freylinghausen, gab 1704 sein Geistreiches Gesang-Buch heraus, das in pietistischen Gemeinden weit verbreitet war.
Der Organistendienst an der Marktkirche St. Marien umfasste zugleich das städtische Musikdirektorat und war damit das wichtigste musikalische Amt der Stadt. Der Händel-Lehrer Friedrich Wilhelm Zachow trat diese Stelle 1684 an. Nach dessen Tod war Johann Sebastian Bach Spitzenkandidat unter den Bewerbern. Nachdem der die Stelle aber abgelehnt hatte, erhielt Gottfried Kirchhoff den Posten; zwischen 1746 und 1764 folgte ihm Wilhelm Friedemann Bach.
Heute befindet sich im Händel-Haus, dem Geburtshaus des Komponisten, ein internationales Zentrum der Händel-Pflege; das Wilhelm-Friedemann-Bach-Haus bietet zudem eine Ausstellung über die Musikstadt Halle.
Leipzigs Aufstieg zu einer der führenden Musikmetropolen Europas steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der musikalischen Aufwertung des Thomaskantorats, die um die Wende zum 17. Jahrhundert einsetzte. Als ,Chorvater‘ der Thomaner gilt Seth Calvisius (1556–1615), ein umfassend gebildeter Polyhistor, unter dessen Einfluss sich die Armenschule zu St. Thomas zur führenden Singeschule Mitteldeutschlands entwickelte. Sein Verdienst ist es, dass das Amt derart an Ansehen gewann, dass sich fortan nur noch die herausragendsten Musiker ihrer Zeit um das Thomaskantorat bewarben.
Johann Sebastian Bachs Amtszeit stand schon 1723 in einer ungebrochenen 150-jährigen Tradition, die auf große Namen wie Johann Hermann Schein, Sebastian Knüpfer, Johann Schelle und Johann Kuhnau zurückblicken konnte. All diese Männer waren nicht allein Chorleiter und Schulmänner. Ihre erhaltenen Kompositionen offenbaren, dass sie prägend für den musikalischen Stil ihrer Zeit waren. Im Unterschied zu den Thomaskantoren, die seit dem 19. Jahrhundert den Chor geleitet haben und denen das Verdienst zukommt, die Chortradition bis heute gepflegt und erhalten zu haben, verstanden sich die barocken Musiker in erster Linie als die Schöpfer ihres eigenen musikalischen Repertoires. Damit prägten sie aber auch die übrigen Bereiche der städtischen Musikkultur. Sie integrierten die Studenten der Leipziger Alma mater in die Kirchenmusikaufführungen, fanden in diesen ihre privaten Klavierschüler und komponierten Werke für die studentischen Collegia musica.
Mit Johann Kuhnau begegnet uns ein Thomaskantor, der sogar für
das erste Leipziger Opernhaus komponiert hat, das in den Jahren von 1693
bis 1720 zu den dreimal jährlich stattfindenden Handelsmesse – zu
Neujahr, zu Ostern und um den Michaelistag – für mehrere Wochen bespielt
wurde. Hier erklang zur Neujahrsmesse 1702 Kuhnaus Galathea,
von der leider nur der Text erhalten ist. Überhaupt waren es vor allem
die wenigen Wochen der Messen, während der die weltliche Musikpflege –
jenseits von Thomaskirche und Thomanerchor – mit Konzerten, Opern und
Theatermusiken ihren Höhepunkt erreichte. Der heutige Ruhm Leipzigs
als Musikstadt gründet nicht zuletzt auf diesem barocken Erbe.
Mit ihrer bis heute ungebrochene Sangesfreude sind die Knaben des Thomanerchores die vordersten Botschafter der barocken Leipziger Musikkultur. Das Bach-Archiv Leipzig veranstaltet jährlich das Bachfest und widmet sich in Forschungsprojekten wie der „Expedition Bach“ der flächendeckenden Erschließung von Archivalien zur barocken Musikgeschichte Mitteldeutschlands. Im Museum für Musikinstrumente der Universität Leipzig können zahlreiche barocke Zimelien aus den Werkstätten mitteldeutscher Meister bewundert werden.
Die Leipziger Ratsmusiker bestanden aus zwei Gruppen. Die vier Stadtpfeiferstellen gründeten auf einer Tradition, die bis ins 15. Jahrhundert zurückreicht. Die drei Kunstgeiger waren erst in jüngerer Zeit dazugekommen und mussten auf viele Privilegien verzichten – so kamen sie beispielsweise nicht in den Genuss der kostenfreien Dienstwohnungen im Stadtpfeifergässchen.
Die Bürgermeister im Leipziger Rathaus waren die kulturpolitisch Verantwortlichen für alle Bereiche des städtischen Musiklebens. Ihnen unterstanden die Thomaskantoren ebenso wie die Stadtpfeifer. Einzig die Universitätsmusik entzog sich ihrer Direktive.
In einem Hinterhof am Brühl wurde 1693 in Leipzig das erste bürgerliche Opernhaus Mitteldeutschlands eröffnet. Gespielt wurden deutsche Barockopern u.a. von Georg Philipp Telemann. Aufgrund eklatanter Misswirtschaft der Opernpächter musste das Haus bereits 1720 wieder schließen.
Vor den Toren der Stadt hatten sich in der Bettelgasse mehrere Instrumentenbauer niedergelassen, die oft über viele Generationen hinweg ihre Werkstätten betrieben und in unmittelbarer Nachbarschaft mit Musikanten lebten, die nicht der Stadtpfeiferzunft angehörten.
Erfurt, einst als „Metropolis Thuringiae“ bezeichnet, entwickelte sich seit dem 14. Jahrhundert zur führenden mittelalterlichen Großstadt des Thüringer Raumes. Martin Luther hatte hier studiert und mit dem Erfurter Enchiridion erschien hier eins der frühesten Lutherischen Gesangbücher.
Seit dem Mittelalter unterstand die Stadt den Mainzer Erzbischöfen. Nach der Reformation besaß Erfurt damit eine Sonderstellung in Mitteldeutschland. Die Religionsfreiheit blieb in dem „thüringischen Rom“ mit seinen über 40 Kirchen und Klöstern jedoch stets gewahrt, so dass auch die protestantische und katholische Kirchenmusikpflege stets nebeneinander bestehen konnten und oft sogar voneinander profitierten. Musikalisches Wirken über die Konfessionsgrenzen hinaus prägte die tägliche Arbeit vieler Erfurter Musiker des 17. Jahrhunderts. So war es 1679 etwa die Aufgabe von Johann Pachelbel (1653–1706), dem Organisten der protestantischen Predigerkirche, mehrere Huldigungsmusiken für die katholischen Landesherren zu komponieren. Johann Heinrich Buttstett (1666–1727) war zunächst Organist an der Regler-, dann an der Kaufmannskirche und seit 1691 als Nachfolger Pachelbels an der Predigerkirche. Interessant ist, dass er gleichzeitig das Organistenamt an einer der katholischen Kirchen der Stadt, vermutlich an St. Severi auf dem Domberg, innehatte. In seinem vielfältigen Schaffen finden sich daher sowohl Werke für die evangelische als auch für die katholische Liturgie.
Im 17. Jahrhundert wurde die Erfurter Musikpflege von mehreren Mitgliedern der Bach-Familie maßgeblich geprägt. In der Ratsmusikanten-Kompanie lassen sich hier fortwährend zahllose „Bache“ nachweisen, was den Erfurter Stadtpfeifern diesen Spitznamen beibrachte, den sie auch im ausgehenden 18. Jahrhundert noch trugen, als längst kein Musiker dieses Namens mehr in Erfurt lebte.
Die Musikaliensammlung der Michaeliskirche vermittelt mit ihren rund 180 Musikmanuskripten und Notendrucken noch heute einen lebendigen Eindruck von der vielfältigen barocken Erfurter Musikkultur, die vor allem von den Kompositionen thüringischer Meister – Buttstett, Wolfgang Carl Briegel und Johann Rudolph Ahle – geprägt ist. Hier finden sich auch Werke von Christian Johannes Agricola, der um 1600 eines der ersten Collegia musica in Erfurt gegründet hatte.
Wichtige Musiker, die das Erfurter Musikleben geprägt haben, waren neben Pachelbel und Buttstett auch Michael Altenburg (1584–1640), Johann Egidius Bach (1645–1716), Jakob Adlung (1699–1762) und Johann Christian Kittel (1732–1809), der als einer der letzten Bach-Schüler 1756 Organist an der Barfüßer- und kurz darauf auch an der Predigerkirche wurde.
Diese Adjuvanten-Chronik der Jahre 1643 bis 1839 enthält die Statuten des Chores, die Rechnungen der Adjuvantenkasse und ein Verzeichnis der Noten- und Instrumentenbestände der Erfurter Kaufmannskirche.
Die Fürstenhöfe waren die eigentlichen Zentren der barocken Hochkultur. Die Zersplitterung des sächsischen Territoriums führte dazu, dass nicht nur der Kurfürst in Dresden eine stattliche Hofkapelle, eine Hofoper und mehrere Kirchenmusiker beschäftigte. Im Zuge zahlreicher Erbteilungen waren im Verlauf der Jahrhunderte auf sächsischem Gebiet über ein Dutzend Kleinstaaten entstanden, deren Landesherren ebenfalls Musikliebhaber waren, die dem großen Vorbild in Dresden nacheiferten. Dabei war die Musik für die Fürsten nicht nur Unterhaltung und Zeitvertreib, sondern ein wesentliches Element ihrer politischen Repräsentation. Bedeutende Festveranstaltungen des Dresdner Hofes – Geburtstage, Hochzeiten oder Thronjubiläen – wurden daher stets von Opernaufführungen begleitet, deren prächtige Inszenierungen auch ein Sinnbild der politischen Macht sein sollten.
Da die meisten mitteldeutschen Fürstenhöfe bis zur Abschaffung der Monarchie nach dem Ersten Weltkrieg bestanden, haben sich die Musikaliensammlungen einiger Hofkapellen bis heute erhalten. Trotz den Verlusten im Zweiten Weltkrieg besitzt die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden mit dem Notenarchiv der Sächsischen Hofkapelle eine der beeindruckendsten höfischen Musikaliensammlungen Mitteldeutschlands. Ein anderer bedeutender Quellenschatz sind die historischen Musikalienbestände der Sondershäuser Hofkapelle, die sich heute im Thüringischen Staatsarchiv Rudolstadt und im Schlossmuseum Sondershausen befinden.
Herzog Anton Ulrich von Sachsen-Meiningen (1687–1763) trug eine umfangreiche Sammlung an Wiener Musikalien – mit Kompositionen unter anderem von Antonio Caldara, Francesco Bartolomeo Conti und Johann Joseph Fux – zusammen, die heute in der Sammlung Musikgeschichte der Meininger Museen aufbewahrt wird.
Anlässlich der Hochzeit von Kurprinz Friedrich August II. wurde 1719 das prächtige Dresdner Opernhaus im italienischen Stil erbaut. Im Orchestergraben vor der Bühne sitzen auf engstem Raum 41 Musiker. Die brennenden Kerzen waren die einzige Beleuchtung für ihre Notenpulte. Barocke Theater verfügten bereits über eine aufwändige Bühnenmaschinerie, die sekundenschnelle Szenenwechsel ermöglichte. Eine Besonderheit des Dresdner Theaters war die absteigende Treppe am Bühnenende, die effektvolle Bühnenaufgänge ermöglichte.
Die Landesherren bestimmten die jeweilige musikalische Ausrichtung ihrer
Hofkapellen. Für den frommen Lutheraner Wilhelm Ernst von
Sachsen-Weimar entstanden etwa viele von Johann Sebastian Bachs frühen
Kirchenkantaten, während die Herzöge von Weißenfels große Liebhaber der
Oper waren.
Zwischen 1708 und 1717 war Johann Sebastian Bach Hoforganist in Weimar – der mitregierende Herzog Ernst August war hier einer seiner einflussreichsten Förderer. Die Weimarer Schlosskapelle besaß damals mit der sogenannten „Himmelsburg“ eine architektonische Besonderheit. Der hochliegende Emporenraum, in dem der Organist und mit ihm die gesamte Hofkapelle musizierte, ermöglichte eine hervorragend ausgeglichene Akustik in der gesamten Kirche.
Eisenach war zwischen 1672 und 1741 Residenz des Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach. Herzog Johann Wilhelm, der mit einer Weißenfelser Prinzessin verheiratet war, holte Georg Philipp Telemann 1708 an seinen Hof. Telemann vertonte hier Erdmann Neumeisters Jahrgang Geistliches Singen und Spielen, der das Vorbild für die moderne Kirchenmusik des 18. Jahrhunderts werden sollte. Die von Neumeister verfassten Texte bieten eine Mischung aus Bibelsprüchen, Kirchenliedern und madrigalischer, auslegender Dichtung in Arien und Rezitativen. Das Neuartige an Telemanns Vertonung dieser Texte besteht in der Verbindung traditionell polyphoner Satzformen mit der affektbeladenen Tonsprache der zeitgenössischen Oper. Telemann verließ Eisenach zwar bereits 1712, setzte seine Tätigkeit für den Hof aber auch von Frankfurt und Hamburg aus noch viele Jahre fort.
Nachdem den albertinischen Sachsen in der Folge des
Schmalkaldischen Krieges 1547 die Kurwürde verliehen worden war, entwickelte
sich Dresden als Residenzstadt des Kurfürstentums bald zu einer der führenden
Kulturmetropolen Europas. Bereits 1548 wurde Johann Walter mit der Gründung
einer Hofkapelle beauftragt.
Das Ensemble bestand zunächst aus 19 Sängern und einem Organisten, vergrößerte sich in den folgenden Jahren aber zusehends. 1554 waren es bereits 25 Sänger und sieben Instrumentalisten, die für die Hofkirchenmusik zuständig waren. In den folgenden Jahrzehnten erweiterte sich das Aufgabengebiet der Musiker auch um die Ausgestaltung des Hofzeremoniells. Zu Hochzeiten, Taufen und Geburtstagen der kurfürstlichen Familie fanden oft mehrtägige Festlichkeiten statt, in denen die Musikaufführungen – Konzerte, Ballette, Maskenbälle und musiktheatralische Aufführungen – einen breiten Raum einnahmen.
Nachdem Walter 1554 in den Ruhestand gegangen war, wurde die Hofkapelle für mehrere Jahrzehnte von italienischen Kapellmeistern geführt. Einer der bedeutendsten Hofmusiker war damals Antonio Scandello, der 1549 vom Kurfürsten für die Hofkapelle engagiert worden war. 1566 stieg er zum Vizekapellmeister auf, zwei Jahre später übernahm er die Leitung der Hofkapelle bis zu seinem Tod 1580.
Ab 1617 stand Heinrich Schütz für über 50 Jahre der Dresdner Hofmusik vor und baute eine an italienischen Vorbildern geschulte deutsche Musikkultur auf, die alle Bereiche des Musiklebens umfasste. Mit dem Tod von Johann Georg I. konnte Schütz in den langersehnten Ruhestand treten. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts war die Hofmusik geprägt von einer Genration junger italienischer Komponisten. Zunächst übernahm Vincenzo Albrici die Leitung der Hofkapelle, ihm folgten Marco Gioseppe Peranda (1663) und Carlo Pallavicino (1672). Die italienische Oper erlebte damals am Dresdner Hof einen ersten Höhepunkt, der in der Eröffnung des ersten mitteldeutschen Opernhauses im Jahr 1664 seinen Ausgang nahm.
Mit der Regierungsübernahme von August dem Starken und
dessen Übertritt zum Katholizismus änderten sich bald auch die
Strukturen
der Hofkirchenmusik. In der 1708 geweihten katholischen Hofkirche – dem umgebauten Komödienhaus von 1664 – übernahmen aus Böhmen angeworbene Chorknaben ab dem folgenden Jahr die
musikalische Gestaltung der Hofgottesdienste; es ist dies die Geburtsstunde der Dresdner Kapellknaben. Die prächtige katholische Hofkirche St. Trinitatis am Theaterplatz
wurde erst 1751 eingeweiht. Ebenfalls 1709 erfolgte die Neugründung der Hofkapelle, die fortan ein reines
Instrumentalensemble war.
Am Dresdner Hof entwickelte sich nun eine lebendige Pflege katholischer Kirchenmusik, die unter dem Hofkapellmeister Johann David Heinichen und dem "Kirchen-Compositeur" Jan Dismas Zelenka seit den 1720er Jahren zu besonderer Blüte gelangte.
Nachdem Heinichen 1729 gestorben war, lag die Leitung der Dresdner Hofkirchenmusik für mehrere Jahre in Zelenkas Händen. Die Entstehung seines Te Deum laudamus (ZWV 146) fällt genau in diese Zeit. Zelenka komponierte es vermutlich anlässlich der Geburt der sächsischen Prinzessin Maria Josepha, die am 4. November 1731 in Dresden das Licht der Welt erblickt hatte.
Hören Sie den Schlusschor In te, Domine in einer Aufnahme mit dem Dresdner Kammerchor und dem Dresdner Barockorchester unter der Leitung von Hans-Christoph Rademann.
Nach dem Tod August des Starken im Februar 1733 engagierte sein Sohn und Thronfolger den damals schon in Italien erfolgreichen Opernkomponisten Johann Adolf Hasse und dessen Frau, die berühmte Sängerin Faustina Bordoni. Hasse prägte mit seinen Opern fortan das Dresdner Musikleben wie kein zweiter, indem er in dichter Folge neue Werke für die höfischen Festveranstaltungen komponierte. Erst mit dem Siebenjährigen Krieg, der Sachsen in eine schwere wirtschaftliche Krise stürzte und der Entlassung der Hofkapelle im Jahr 1763 kam es nach über zwei Jahrhunderten musikalischer Hochkultur zu einer tiefgreifenden Zäsur der Hofmusik.
Die herausragende barocke Musikpflege der Höfe und Städte war nur möglich, weil eine breite Basis musizierender Volksschichten existierte. Nur die Besten konnten es in die begehrten Kantoren- oder Hofkapellenämter schaffen. Die blühende Musikpflege auf dem Land, die sich an den musikalischen Entwicklungen in den mitteldeutschen Zentren stets orientierte, beschrieb der Komponist Michael Altenburg im Vorwort seiner 1620 gedruckten Newen Kirchen- und Hauß-Gesänge:
Man bedenke nur das, wie an allen Örtern die Musica in vollem Schwunge geht. Ist doch bald kein Dörflein, bevoraus in Thüringen, darinnen Musica, beydes vocalis und instrumentalis, nicht herrlich sollte florieren und wohl bestellet sein. Hat man ja kein Orgelwerk, so ist doch die vocalis musica zum wenigsten mit ein 5 oder 6 Geigen ornirt und gezieret, welches man vorzeiten kaum in den Städten hat haben können.
Michael Altenburg wurde 1584 im Dorf Alach bei Erfurt geboren. Im frühen 17. Jahrhundert war er Pfarrer in Tröchtelborn, einem kleinen Dorf im Erfurter Kreis. Hier komponierte er zahlreiche Werke, die für den örtlichen Adjuvantenverein bestimmt waren.
Hören Sie die ersten beiden Sätze der Kantate Gott, du bist mein Gott von Johann Topf. Topf war um 1700 Kantor und Organist in Thüringen; seine Kantaten waren besonders in den Dörfern um Erfurt und Gotha sehr verbreitet. Die Sopranistin Maria Jonas singt unter der Begleitung der Chursächsischen Capelle Leipzig.
Mit Anstellungen an den Höfen in Weißenfels, Weimar, Bayreuth und Kulmbach war Adam Falckenhagen (1697-1754) einer der erfolgreichsten Lautenisten Mitteldeutschlands. Seine musikalische Ausbildung erhielt er in dem Dorf Knauthain, südlich von Leipzig, wo er "8 Jahr insbesonderheit auf dem Clavier, und in den letztern Jahren auf der Laute sich geübet" (J. G. Walther). In Knauthain hatte die Familie von Dieskau ihr Rittergut. Hier lebte auch Carl Heinrich von Dieskau, jener Graf, dem Johann Sebastian Bach 1742 seine Bauernkantate widmete. Bereits um 1715 – als Carl Heinrich noch ein Kind war – wurde er von Falckenhagen in Knauthain im Lautenspiel unterrichtet.
Im Zuge der lutherischen Reformation wurde die Musik- und Gesangsausbildung zu einer der zentralen Aufgaben des Schulwesens. Dies war schon deshalb notwendig, weil die Knaben der Stadt- und Dorfschulen fortan gemeinsam mit dem Schulmeister – meist dem Kantor oder dem Organisten – für die Choralgesänge der sonntäglichen Gottesdienstmusiken verantwortlich waren. Während die Qualität dieser Singedienste gerade in kleinen Orten und Dörfern stark von der Motivation und den Fähigkeiten der einzelnen Lehrer abhing, entwickelte sich an den hochangesehenen Fürstenschulen und vielen der städtischen Gymnasien eine reiche Musikkultur, die sich nicht allein auf die Kirchenmusik beschränkte. Der jährliche Schulactus wurde vielerorts von der Aufführung gesungener Dankesoden und musikalischer Schuldramen begleitet. Die Musiklehrer dieser Orte gehörten denn oft genug auch zu den berühmtesten Komponisten ihrer Zeit – Beispiele finden sich in den Thomaskantoren von Seth Calvisius bis Johann Sebastian Bach ebenso wie in dem Magdeburger Reformationskantor Martin Agricola und dem Portenser Fürstenschulkantor Erhard Bodenschatz.
Die Thomasschule (Bildmitte) hatte sich seit dem späten 16. Jahrhundert zu einer musikalischen Eliteschule ersten Ranges entwickelt. Sie zog talentierte Knaben aus ganz Mitteldeutschland an. Ihre Absolventen gehörten später zu den angesehensten Musikern im protestantischen Deutschland und bekleideten die höchsten musikalischen Ämter. Ihre Ausbildung erhielten hier u.a. Johann David Heinichen (Hofkapellmeister in Dresdner), Johann Friedrich Fasch (Hofkapellmeister in Anhalt-Zerbst), Reinhard Keiser (Komponist der Hamburger Oper) und Christoph Graupner (Hofkapellmeister in Hessen-Darmstadt).
Aufführungen der Collegia musica fanden auch unter freiem Himmel statt, etwa wenn einem angesehenen Professor oder einem Adeligen eine abendliche Geburtstagsmusik vor dessen Wohnung dargeboten wurde.
Als Teil des planvollen barocken Schulsystems sollten vor allem die Fürstenschulen ihre Absolventen auf das Studium an einer der mitteldeutschen Universitäten – in Erfurt, Leipzig, Wittenberg, Jena und Halle – vorbereiten. Zwar beschränkte sich die universitäre Musiklehre allein auf die Beschäftigung mit theoretischen Fragestellungen, doch profitierte das Kulturleben der Universitätsstädte von der musikalischen Vorbildung ihrer Studenten. Bereits seit dem 17. Jahrhundert organisierte sich die musikliebende Studentenschaft in sogenannten Collegia musica. Diese Laienensembles trafen sich zu regelmäßigen Musizierabenden, die zum Teil in den öffentlichen Kaffeehäusern, zum Teil auch in den Privathäusern einflussreicher Mäzene oder in den Wohnungen der Studenten stattfanden. Sie waren prägend für das öffentliche Musikleben und sind die Vorläufer unseres heutigen Konzertwesens.
Zur Mitte des 16. Jahrhunderts gründete Herzog Moritz von Sachsen die
ältesten Fürstenschulen – Schulpforta bei Naumburg, St. Afra in Meißen
und St. Augustin in Grimma. Der Portenser Schulkantor Erhard Bodenschatz
veröffentlichte 1618 eine Motettensammlung unter dem Titel Florilegium Portense
(Blütenlese aus Pforta), in der die Werke mitteldeutscher Komponisten
unmittelbar neben jenen der herausragendsten
italienischen Zeitgenossen stehen. Im Bild sehen Sie Motetten des Thomaskantors Seth Calvisius und des Kapellmeisters an St. Marco in Venedig, Andrea Gabrieli. Die Sammlung gehörte bis weit ins 18. Jahrhundert zum Kernrepertoire der mitteldeutschen Schulchöre und Kantoreien – noch Johann Sebastian Bach führte mit seinen Thomanern die Motetten der Sammlung auf.